Zähneknirschen, Unwilligkeit beim Putzen und Satteln, Verspannungen am ganzen Körper, Muskelschwund, Lahmheit, Bewegungsstörungen oder Abwehrverhalten beim Aufsteigen bis hin zu kompletter Unrittigkeit. Die Liste der möglichen Symptome bei Rückenschmerzen ist lang und oft unspezifisch. Leider sind erstaunlich viele Pferde von Rückenschmerzen geplagt. Die Ursache ist oft muskulär bedingt, kann aber auch einen Zusammenhang mit dem Sattel, der Reitweise oder knöchernen Veränderungen (z.B. Kissing Spines) haben.
Kissing Spines
«küssende Dornfortsätze» beim Pferd
Der Rücken des Pferdes besteht aus 18 Brust- und 6 Lendenwirbeln, dazu stabilisierende Bänder und Muskeln. Das wohl bekannteste Band ist das Nacken-Rücken-Band. Dieses erstreckt sich vom Nacken bis zum Kreuzbein und liegt den Dornfortsätzen auf.
Jeder Wirbel hat einen nach oben hin ausgebildeten Dornfortsatz (auf Englisch Spine). Im vorderen Bereich der Wirbelsäule sind die Dornfortsätze leicht nach hinten gewinkelt und im hinteren Bereich leicht nach vorne. Der Richtungswechsel findet auf Höhe des 14. - 16. Brustwirbels statt, welcher direkt unter dem Reiter gelegen ist.
Normalerweise befindet sich zwischen den Dornfortsätzen ein kleiner Abstand. Kommt es zu einem Engstand, einer Berührung, einem Überreiten oder sogar einer Verschmelzung/Verwachsung von zwei oder mehreren Dornfortsätzen, sprechen wir von Kissing Spines.
Senkt sich der Kopf des Pferdes, spannt sich das Nacken-Rücken-Band, der Rücken wölbt sich auf, die Dornfortsätze werden aufgespannt und das Pferd kann durch diese feste, aber doch elastische Verbindung durch den Rücken schwingen. Durch angeborene Fehlstellungen, schlechte Konformation und Kondition, ungünstiges Zusammenpassen von Pferd und Reiter, Langzeitgebrauch von ungenügend angepasstem Sattel, oder Fehl- und Überbelastung über einen längeren Zeitraum, kann es zu Berührungen zwischen den Dornfortsätzen kommen. Reiben diese aneinander, verursacht das Schmerzen und Entzündungen der Knochenhaut. Durch Anspannen der Rückenmuskulatur versucht das Pferd diesem Schmerz zu entgehen. Es nimmt oft auch eine falsche Kopf- und Halshaltung ein. Es kann oder will nicht mehr durch den Rücken schwingen. Durch diese Falschbeanspruchung des Rückens entsteht ein Teufelskreis und die Veränderungen an den Dornfortsätzen verschlimmern sich zusehends.
Kissing Spines können mit Röntgenbildern dargestellt werden. Ein Röntgenbild zeigt aber nur die Pathologie des Knochens, nicht den vollständigen Umfang der Entzündung und des Schmerzes. Auch bei gesunden Pferden können Knochenumformungen oder Engstände von Dornfortsätzen vorkommen. Liegt dies bei einem rückengesunden Pferd vor, ist es nicht immer gleich besorgniserregend, jedoch ist es durchaus ein prädisponierender Faktor für spätere Rückenprobleme. Wichtig ist, dass man die klinische Untersuchung mit der radiologischen Untersuchung in Einklang bringen kann.
Je mehr Dornfortsätze involviert und je hochgradiger die Veränderungen sind, desto mehr wirken sich diese Veränderungen negativ auf die Mechanik der Wirbelsäule aus. Im weiteren Verlauf kann es zu Veränderungen der Verbindungsgelenke der Wirbel untereinander (kleine Wirbelgelenke) kommen. Es kommt zur Arthrose und Spondylose der Rückenwirbel.
Leichtgradig ausgeprägte Kissing Spines mit Engstand der Dornfortsätze (roter Kreis). Im Gegensatz dazu Dornfortsätze mit genügend Abstand zueinander (blauer Kreis).
Hochgradig ausgeprägte Kissing Spines (rote Kreise) mit Verschmelzung der Dornfortsätze und zusätzlich ausgebildeten Zysten im Knochen (gelbe Pfeile). Das Röntgenbild zeigt Dornfortsätze im Bereich Übergang Widerrist zur Sattellage.
Pferde mit Kissing Spines haben klassischerweise Rückenschmerzen, welche sich in verschiedenen Verhaltensänderungen zeigen können. Die Symptompalette ist gross.
Beispiele sind:
Manchmal fallen auch andere Merkmale auf:
Beim Abtasten des Rückens sind meistens die Dornfortsätze, welche man direkt unter der Haut und dem langen Rückenband spüren kann, schmerzhaft. Die Rückenmuskulatur kann verspannt und schmerzhaft sein. Beim Versuch dem Pferd, durch Druck auf das Brustbein, den Rücken anzuheben, kommt Abwehrverhalten, wie Ohren anlegen, Schweifschlagen, Schnappen oder Schlagen mit der Hinterhand zum Vorschein. Es kann auch sein, dass das Pferd rein mechanisch nicht mehr fähig ist sich im Rücken aufzuwölben.
Es gibt mehrere Möglichkeiten die Rückenschmerzen infolge von Kissing Spines zu therapieren. In der Regel macht es Sinn verschiedene Therapieformen zu kombinieren. Hierbei haben auch das Training und die unterstützende Arbeit von manuellen Therapeuten einen sehr grossen Stellenwert.
Die systemische Schmerzmedikation kann mit einer lokalen Behandlung der Kissing Spines ergänzt werden, da eine alleinige Gabe von Schmerzmitteln meistens nicht ausreicht. Die lokale Behandlung besteht aus Injektionen von entzündungshemmenden und schmerzstillenden Medikamenten zwischen oder um die Dornfortsätze herum.
Nach einer lokalen Behandlung wird schon bald mit einem gezielten Training begonnen. Während der ersten 1-2 Wochen sollte das Pferd ohne Sattel gearbeitet werden.
Anna Graf bei einer osteopathischen Behandlung
Aus dem Bereich der manuellen Therapie gibt es Übungen, um die Oberlinie des Pferdes zu dehnen/ zu lockern und eine bessere funktionale Stabilität bereits im Stand zu trainieren.
Im nächsten Schritt wird daran gearbeitet auch in Bewegung (an der Hand oder Longe) eine möglichst aufgespannte/ aufgewölbte Haltung aufrechterhalten zu können. Dies geschieht zunächst an der Hand oder an der Longe und anschliessend unter dem Sattel. Hierbei spielt das korrekt positionierte Pferd, in einer tragenden vorwärts-abwärts bzw. positiv aufgespannten Haltung, eine entscheidende Rolle.
Das Aufbautraining wird sehr individuell gestaltet und profitiert von intensiver Begleitung manueller Therapeuten.
Ziel der Therapie ist es die Rückenmuskulatur bestmöglich zu stärken und mittels aufgewölbter Körperhaltung die Distanz zwischen den Dornfortsätzen langfristig zu erhalten. Limitierende Faktoren sind dabei bereits verwachsene Dornfortsätze, die ein komplettes Aufwölben des Rückens aus mechanischer Sicht nicht mehr ermöglichen. Solche Fälle bedürfen intensiverem Schmerzmanagement und je nach Schweregrad müssen langfristig Belastung und Training des Pferdes angepasst werden.
Zu den oben genannten Therapien muss unbedingt ein passender Sattel vorhanden sein. In ausgewählten Fällen macht das Überprüfen des Sattels mittels Satteldruckmessung durchaus Sinn.