Als Fluchttier ist das Pferd auf einen funktionierenden Bewegungsapparat angewiesen. Da dieser jedoch tagtäglich hohen Belastungen ausgesetzt wird, gehören Lahmheiten zu den häufigsten gesundheitlichen Problemen beim Pferd und können jung und alt gleichermassen betreffen.
Ziel der Lahmheitsuntersuchung ist es, den Ursprung des Schmerzes zu lokalisieren. Dafür stehen dem Pferdetierarzt verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung. Nicht nur technische Geräte wie Röntgen und Ultraschall können zur genauen Diagnostik beitragen – wichtigste Hilfsmittel sind nach wie vor ein geübtes Auge und erfahrene Hände. Das Abtasten und das Betrachten in Ruhe und Bewegung sind die ersten Schritte einer Lahmheitsuntersuchung. Auch Beuge-, Brett- und Zangenprobe gehören zu nahezu jeder Lahmheitsuntersuchung dazu.
Vortraben an der Hand
Bereits während der Besitzer die Vorgeschichte des Pferdes erzählt, betrachten wir dieses in Ruhe. Dabei liegt das Augenmerk auf Körperhaltung, Gliedmassenstellung und eventuell vorhandenen Asymmetrien. Anschliessend wird das Pferd (sofern es keine hochgradige Lahmheit zeigt) zuerst im Schritt und danach auch im Trab vorgeführt, um festzustellen, welche Gliedmasse für die Lahmheit verantwortlich ist. Sowohl die Bewegung auf der Geraden, wie auch in den Wendungen ist hierfür von Bedeutung. Manchmal kann es hilfreich sein, das Gangbild zusätzlich an der Longe und auf unterschiedlichem Untergrund (Teerstrasse vs. Sandboden, bergauf vs. bergab) zu beurteilen.
Auch die Palpation (das Abtasten des Bewegungsapparates) ist ein wichtiger Bestandteil einer Lahmheitsuntersuchung. Die Gliedmassen werden sowohl stehend als auch aufgehoben untersucht und Hals und Rücken ebenfalls abgetastet. Auf diese Weise können Schwellungen, angefüllte Gelenke / Sehnenscheiden, Druckempfindlichkeit, Schmerzen beim Beugen oder Strecken, kleine Verletzungen und vieles mehr festgestellt werden.
Da der Ursprung vieler Lahmheiten in den Hufen zu finden ist, darf deren Untersuchung keinesfalls vergessen werden. Aufgrund der festen Hornkapsel muss hierfür jedoch eine Hufzange zu Hilfe genommen werden. Mit dieser wird am aufgehobenen Huf Druck auf verschiedenen Stellen ausgeübt, was bei Schmerzhaftigkeit in diesem Bereich beim Pferd eine Abwehrreaktion auslöst.
Liegt die Ursache der Lahmheit im Bereich des Hufes arbeiten wir eng mit erfahrenen Hufschmieden zusammen, die unsere Therapie unterstützen.
Leitungsanästhesie am Pferdebein
Um weitere Erkenntnisse zu gewinnen werden bei einer Lahmheitsuntersuchung meistens auch sogenannte Provokationsproben durchgeführt. Am wichtigsten und bekanntesten ist sicherlich die Beugeprobe. Dabei wird die Gliedmasse während 30-60 Sekunden gebeugt und das Pferd danach direkt im Trab vorgeführt. Dadurch wird eine Lahmheit teilweise verstärkt, was weitere Hinweise zu ihrem Ursprung liefern kann.
Mittels einer Brettprobe können verschiedene Strukturen (Sehnen und Bänder) der Vorderbeine unter Zug gesetzt und Druck auf das Strahlbein ausgeübt werden. Ist dies für das Pferd schmerzhaft, weicht es zurück oder springt vom Brett, was als positive Brettprobe gewertet wird.
Ist nach all diesen Untersuchungen immer noch keine offensichtliche Ursache für die Lahmheit gefunden, kann mit Hilfe von Leitungsanästhesien der Schmerz genauer lokalisiert werden. Hierfür wird ein Lokalanästhetikum direkt an die Nerven gespritzt, wodurch die Gliedmasse unterhalb der Injektion schmerzunempfindlich wird. Sobald das Medikament genügend Zeit hatte zu wirken (nach ca. 10-15 Minuten) wird das Pferd erneut vorgetrabt. Schritt für Schritt werden von unten nach oben die Nerven betäubt, solange bis die Lahmheit verschwindet und dadurch ihr Ursprung auf eine bestimmte Region eingegrenzt werden kann. Dieser Bereich kann nun gezielt mit weiteren diagnostischen Mitteln wie Röntgen oder Ultraschall genauer untersucht werden.
Leider ist es unmöglich im Voraus abzuschätzen, wie lange eine Lahmheitsuntersuchung dauern wird. Manchmal kann die Ursache sehr schnell gefunden werden. Andere Lahmheiten sind komplexer und alle Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden. Es kann deshalb vorkommen, dass nicht alle Untersuchungen direkt beim ersten Termin durchgeführt werden können.
Die Kosten richten sich nach Aufwand der Untersuchungen.
Bild: Sehnenläsion
Welche Anforderungen müssen Pferdesehnen eigentlich erfüllen?
Sie müssen zugleich elastisch, zugfest, viskös und dehnbar sein.
Wie hat die Natur dies gelöst?
Im Nachfolgenden Text möchten wir aufzeigen, welchen Belastungen Sehnen standhalten müssen, wann es trotzdem zu Schäden kommen kann, wie wir diese diagnostizieren und welche Therapieoptionen uns zur Verfügung stehen.
Sehnen sind aus parallel angeordneten Kollagenfasern, v.a. Typ I Kollagen, aufgebaut. Kollagenmikrofobrillen lagern sich zu Kollagenfibrillen und diese wiederum zu Kollagenfasern zusammen.
Sehnen müssen einem hohen Zug standhalten und auch gegenüber Scher- und Rotationskräften standhalten. Aus diesem Grund sind die Kollagenfasern als Spiralen angeordnet und zusätzlich untereinander verflochten. In entspanntem Zustand liegen diese Fasern leicht wellenförmig vor. Wird die Sehne weniger als 4% gedehnt, stellt sich die Wellenform in entspanntem Zustand wieder her. Bei Dehnungen über 4% können Mikrorupturen entstehen und das Gewebe wird weniger belastbar. Beträgt die Dehnung über 8% kann die Sehne reissen.
Aufbau Sehne
© Equine Sports Medicine & Surgery 2nd Edition 2014
Sehnen dienen der Kraftübertragung vom Muskel auf das Skelett und gewährleisten somit die Fortbewegung.
Die Oberflächliche Beugesehne (OBS) wird im Schritt mit ca. 3kN (kiloNewton kN - ist eine Einheit um Kräfte zu messen), im Trab mit ca. 6kN und im Arbeitsgalopp bis zu 7.3kN belastet. Die Tiefe Beugesehne (TBS) wird im Schritt mit ca. 1kN, im Trab mit ca. 1.5kN und im Galopp mit ca. 2.5kN belastet. Der Fesselträger (FT) muss bei einem 500kg schweren Pferd einer Kraft von ca. 15kN standhalten und es kommt dabei zu einer Spitzendehnung von ca. 7.9%.
Zum Vergleich: 1kN Zugkraft entspricht dem Zug wenn man 100kg Gewicht anhängen würde.
Das Pferd ist leider nicht in der Lage einen Sehnenschaden mit den Originalfasern zu reparieren, es kommt lediglich zu einer Wiederherstellung mit Ersatzgewebe. Dieses ist deutlich weniger elastisch und steifer als die Originalfasern, was zu Rezidiven (Rückfall, erneutes Auftreten eines Schadens) im ehemals geschädigten, oder gleich angrenzenden Gebiet führen kann. Es wird sich immer Narbengewebe bilden und bis die Heilung abgeschlossen ist dauert es 6 Monate.
Akute Läsionen mit Faserverlust stellen sich im Ultraschall hypoechogen (dunkler) dar (Bild 1), da durch den Faserverlust weniger Signal zurück an den Schallkopf gesendet wird.
Narbengewebe stellt sich hingegen ultrasonographisch hyperechogen dar. Das bedeutet es erscheint deutlich weisser als das umliegende Gewebe. Vereinzelt kann es auch zu Kalkablagerungen im geschädigten Gebiet kommen, welche sich sehr prominent darstellen lassen (Bild 2).
Core Lesion (Läsion im Zentrum der Sehne)
Sogenannte Core Lesion (oranger Pfeil, runder, dunklerer Bereich) im Unterstützungsband der Tiefen Beugesehne.
Verkalkungsherde
Kalkablagerungen (orange Pfeile) im Unterstützungsband der Tiefen Beugesehne mit Schallschatten (blaue Pfeile). Ein Schallschatten ist ein Artefakt des Ultraschalls. Die Kalkablagerung ist so dicht, dass das ganze Signal an den Ultraschallkopf zurückgeworfen wird und dahinterliegendes Gewebe nicht mehr dargestellt werden kann.
Ruptur oberflächliche Beugesehne (Wellenform Fasern)
Die Oberflächliche Beugesehne (OBS orange) ist gerissen und die Fasern stellen sich durch das Zusammenziehen wellenförmig dar. Normalerweise sind diese Fasern längs/parallel angeordnet, wie im gesunden Teil der Tiefen Beugesehne (TBS blau) dargestellt. In diesem Fall ist auch ein Teil der TBS geschädigt (TBS rot) mit Verlust der Längsfaserung und Auflockerung des Gewebes.
Je nach Lokalisation und Schweregrad einer Sehnenläsion wird das Pferd mit Schmerzmitteln abgedeckt, initial pausiert und anschliessend schonend und gezielt wieder aufgebaut. Um den Heilungsverlauf positiv zu beeinflussen arbeiten wir mit lokal aufgetragenen Substanzen (z.B. Kühlgel, Lehm) und schmerzstillenden und entzündungshemmenden Salben, Lasertherapie, Stosswellentherapie, Blutegeln, Hyaluronsäure, orthopädischen Spezialbeschlägen und Zusatzfuttermitteln, welche speziell für die Sehnen entwickelt wurden.
Um den Heilungsverlauf zu überwachen wird die Läsion, meist 6-8 Wochen nach dem ersten Ultraschall, erneut kontrolliert. Diese Zeitspanne wird je nach Bedarf oder Wunsch angepasst.
So können Tierarzt und Sportler gemeinsam einen Aufbauplan, individuell an das Pferd und die Läsion angepasst, besprechen.
Anatomie Zehenbinde: 1 Griffelbeinknöpfchen, 2 M. interosseus medius (Fesselträger), 3 M. flexor digitalis superficialis (Oberflächliche Beugesehne), 4 M. flexor digitalis profundus (Tiefe Beugesehne), 5 Fesselringband, 6 vierzipflige Fesselplatte, 7 Sohlenbinde, 8 Fesselbeugesehnenscheide, 9 palmare Aussackung der Fesselgelenkskapsel.
(Quelle: Dyce K.M., Sack W.O., Wensing C.J.G., 1991, Anatomie der Haustiere. 1. Auflage, Ferdinand Enke Verlag Stuttgart, Seite 611)
Das Fesselgelenk muss biomechanisch Höchstleistungen erbringen. Die Knochen (Röhrbein, Fesselbein und Sesambeine) werden durch Seitenbänder und Sesambeinbänder verbunden. Die Sesambeine bilden zusammen mit dem Fesselträger und dem geraden und den schrägen Gleichbeinbändern Teil des Fesseltragapparates. Die Beugesehnen (Oberflächliche- und Tiefe Beugesehne) laufen im hinteren Bereich des Fesselgelenks (Vordergliedmasse palmar und Hintergliedmasse plantar), zwischen den Sesambeinen hindurch und werden dabei von der Fesselbeugesehnenscheide (FBSS) umfasst. Die FBSS wird zusätzlich von der vierzipfligen Fesselplatte und der Sohlenbinde stabilisiert, beides kollagenfaserige Verstärkungen. Abschliessend umfasst das Fesselringband (FRB) von den Sesambeinen ausgehend als straffes, unelastisches Ligament die FBSS und die Beugesehnen. Weitere wichtige Strukturen innerhalb der FBSS sind die Manica flexoria (umfasst von der Oberflächlichen Beugesehne ausgehend als Gleitstruktur die Tiefe Beugesehne) und das Mesotendineum (bei jedem Pferd anatomisch normal ausgebildete Struktur zwischen der Oberflächlichen Beugesehne und dem FRB, gebildet aus Synovialmembran, kollagenen und elastische Fasern und enthält Blut- und Lymphgefässe).
Linke Hintergliedmasse eines Pferdes mit einem Fesselringbandsyndrom. Typisch gefüllte Fesselbeugesehnenscheide mit der Einschnürung durch das Fesselringband.
Das Pferd zeigt ein dick geschwollenes Bein im Fesselbereich, entweder diffus geschwollen, oder die typische Sanduhrform. Das Bein ist berührungsempfindlich, das Pferd möchte es ungerne aufgeben und anbeugen, oder längere Zeit darauf stehen. Es ist rigide im Fessel, respektive «fesselt nicht richtig durch», es will den Huf nicht plan auf den Boden stellen (Zehe belastet, Trachtenbereich entlastet) und es geht lahm. Die Lahmheit wird mit pausieren oft besser und kommt bei Wiederaufnahme der Belastung zurück.
Das Fesselringband kann angeboren zu kurz ausgebildet sein und folge dessen kommt es zur Einengung der FBSS und der Beugesehnen. Vereinzelt sind Unfälle wie z.B. Stich- oder sonstige Verletzungen in diesem Bereich die Ursache. Häufiger sind jedoch repetitive Überbelastungen oder grössere Traumata wie z.B. Landung nach dem Sprung in einem ungünstigen Winkel oder ausrutschen in unebenem Gelände oder nassem und matschigem Boden. Dabei werden das Fesselringband und eventuell auch die Beugesehnen, die Manica flexoria oder das Mesotendineum innerhalb der FBSS überdehnt und nehmen so Schaden. Dies führt zu Entzündung mit vermehrter Füllung der FBSS und als Folge steigt der Druck auf die Beugesehnen und das FRB. Wird die Beugesehne komprimiert kommt es zu einer Minderdurchblutung und Schädigung des Gewebes. Geschädigtes Sehnengewebe wird meist mit Narbengewebe ersetzt. Das FRB kann sich aufgrund des Schadens auch verdicken und bei Narbenbildung enger werden, was zu einer zusätzlichen Konstriktion führt. Ist die Oberflächliche Beugesehne geschädigt kommt es oft auch zu Verklebungen mit dem FRB, was die Gleitfähigkeit vermindert, die Entzündung weiter befeuert und Schmerzen und Lahmheit aufrechterhält.
Lahmheitsuntersuchung (Vorführen, Zangenprobe, Brettprobe, Beugeprobe, Longieren), diagnostische Anästhesien und weiterführende bildgebende Verfahren wie z.B. Ultraschall, MRI und Tendovaginoskopie (Spiegelung der Sehnenscheide).
Anhand des klinischen Bildes und der Lahmheitsuntersuchung in Kombination mit Ultraschall und allenfalls weiterführenden Bildgebenden Verfahren, wie z.B. MRI und/oder Tendovaginoskopie (Spiegelung der Sehnenscheide).
Ultraschallbilder eines chronisch verdickten und unregelmässigen Fesselringbandes (FRB, orange) mit unregelmässiger Abgrenzung zur Oberflächlichen Beugesehne (OBS, blau). Tiefe Beugesehne (TBS, grün). Links im Quer- und rechts im Längsschnitt.
Ultraschallbild eines unveränderten Fesselringbandes im Querschnitt (zwischen den weissen Markierungen) mit einer Dicke von 0.16 cm. Ein Fesselringband sollte nicht dicker als 0.4 cm sein.
Wichtig ist eine allfällige Stellungskorrektur des Hufs und ein unterstützender Beschlag.
Des weiteren Injektionen in die Sehnenscheide mit Hyaluronsäure und je nach Befund weiteren Präparaten, welche regenerativ auf das geschädigte Gewebe wirken. Schmerzmittel werden meist über das Futter verabreicht. Zusatztherapien zur Gewebsregeneration umfassen Stosswellentherapie und Laser. Spricht das Pferd ungenügend auf die konservative Therapie an, oder tritt der Schaden schon ein zweites, oder drittes Mal auf (ein sogenanntes Rezidiv) wird eine operative Durchtrennung des Fesselringbandes zur Druckentlastung empfohlen. Je nach initialem Befund wird individuell auch direkt zur Operation geraten. Anschliessend braucht es Zeit zur Heilung und ein individuell zusammengestelltes Bewegungsprogramm zur Rehabilitation.
Gut bis vorsichtig, je nach Schweregrad. Der individuelle Schweregrad der Schäden und das Ansprechen auf die Therapien beeinflussen die Prognose stark, ebenso der angestrebte Gebrauchszweck des Pferdes. Bei Hochleistungssportpferden ist aufgrund der Belastung die Prognose ungünstiger zu stellen, wie bei einem Freizeitpferd. Ist die Einengung des Fesselringbandes ursächlich, ohne Beteiligung weiterer Strukturen, ist die Prognose günstig und das Problem kann meist durch die Operation gelöst werden. Sind weitere Strukturen betroffen ist die Prognose vorsichtiger.